ZUSAMMENFASSUNG

Das vorliegende Buch ist der erste Band der grundlegenden Forschungen des Verfassers zur "AESTHETICA PATRUM". Die Kirchenvater befa?ten sich - wie insgesamt die antiken und mittelalterlichen Denker - nicht ausdrucklich mit den Problemen der Asthetik, da die asthetische Problematik erst spater, namlich in der Neuzeit, der wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wurde. Doch das asthetische Bewu?tsein, das eins von den altesten Formen des Bewu?tseins darstellt, verkorperte sich implizit in vollkommener Form im kunstlerischen Schaffen und im Kult und druckte sich hinreichend in zahlreichen patristischen Werken aus. Das vorliegende Werk ist der systematischen Analyse der asthetischen Vorstellungen der Kirchenvater gewidmet. Die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der unterschiedlichen Auffassungen der Kirchenvater resultiert insbesondere aus der Tatsache, da? viele ihrer Probleme, wie in der Monographie immer wieder nachzuweisen versucht wird, die Basis fur die mittelalterlich-christliche Asthetik sowohl des Westens, der lateinisch sprechenden Welt, als auch der des Ostens, von Byzanz und Ru?land, bildete.

Die Einleitung legt den methodologischen Standpunkt der historischasthetischen Studie dar, namlich die Auffassung, da? man die gesamte (naturliche, gegenstandliche, soziale und geistige) Umwelt des Menschen, die sich irgendwie in gefuhlsma?ig wahrnehmbaren Formen ausdruckt oder (und) als Objekt der nichtutilitaren, sich selbst genugenden Betrachtung auftritt und dem Wahrnehmungssubjekt einen geistigen Genu? verschafft, der Sphare des Asthetischen zuordnen mu?. Ein weiterer wichtiger methodologischer Einstieg in die Analyse der asthetischen Anschauungen der Kirchenvater bietet sich im breiten Kontext vieler allgemeiner Probleme der philosophischen und theologischen Auffassungen zur Kultur dieser komplizierten Ubergangsperiode. Diese Problemsicht gibt die Moglichkeit, eine Vielzahl von Fragestellungen zum Gedankengut der fruhen Christen aufzuwerfen.

Der erste Teil des Buches ist der Geisteswelt der Apologeten gewidmet. Der erste der insgesamt funf Abschnitte des Teiles gibt unter der Uberschrift "Grundlegende Entwicklungstendenzen der spatantiken Kultur und Asthetik" einen kurzen Uberblick uber die Kultur der Spatantike in der Periode des Entstehens und der Entwicklung des fruhen Christentums (I - III. Jh.) Es ergibt sich von selbst, da? im Zusammenhang mit der Thematik nur bestimmte Aspekte dieser Zeit dargestellt werden konnten, die im Kontext der Gesamtproblematik stehen. So werden hauptsachlich jene Tendenzen der romischen Kultur beleuchtet, die von den Kirchenvatern besonders kritisiert bzw. vollig abgelehnt und bekampft wurden. Schlie?lich geht es um das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Kulturtraditionen innerhalb des romischen Imperiums, der griechischromischen und der orientalischen. Aufgezeigt werden insbesondere die inneren Faktoren dieser Synthese in der Periode des Hellenismus, die sich unter anderem widerspiegeln in den Auffassungen Philos von Alexandrien und in den erhaltenen Schriften fruher christlicher Autoren. Ein besonderes Kapitel dieses Abschnittes ist der Asthetik Philos von Alexandrien gewidmet, von dem sich die symbolisch-allegoretische Richtung in der patristischen Asthetik herleitet.

Gema? dem "Prinzip des breiten Kontextes" leitet der zweite Abschnitt zur Analyse der Kulturauffassungen der fruhen Kirchenvater uber. Auf Grundlage einer Auswertung praktisch aller uns uberlieferter Texte jener griechischen und lateinischen Autoren (Justinus der Philosoph und Martyrer, Tatian der Syrer, Athenagoras, Theophil von Andochien, Irenaus von Lyon, Hippolyt von Rom, Klemens von Alexandrien, Tertullian, Minucius Felix, Cyprian, Arnobius und Lachtantius) la?t sich erweisen, da? sie die Begrunder einer prinzipiell neuen Kulturauffassung, namlich der christlichen, waren und Theoretiker einer Kultur wurden, die das Leben in Europa bis ins 20. Jh. hinein bestimmte oder mitbestimmte.

Weiter ergab sich, da? die Apologeten, ausgehend von einer tendenziosen Kritik der antiken Kultur und dem Aufzeigen des ihrer Meinung nach unvermeidlichen Untergangs dieser Epoche, alle wichtigen Aspekte einer weiteren Entwicklung der Menschheit auf Grundlage der Evangelien durchdachten. Diese zwei Aspekte der Lehren der Kirchenvater - die ethische Kritik am Bestehenden und die Entwicklung einer neuen christlichen Weltanschauung - werden in der gesamten Monographie sorgfaltig voneinander unterschieden und doch auch in ihrer Bezogenheit aufeinander dargestellt, so da? insgesamt deutlich wird, welche Elemente der Lehren aus dem geistigen Umfeld ubernommen wurden und welche als eigener Beitrag des fruhen Christentums zum kulturtheoretischen und asthetischen Denken angesehen werden mussen.

Der zweite Teil des Abschnittes "Die philosophisch-teologische Konzeption der fruhen Patristik" entwickelt die Gedanken weiter, indem er die wesentlichen Aspekte der patristischen Ontologie, Gnoseologie und Ethik darstellt und eine Analyse des Begriffs "Held" folgen la?t, der sich in dieser Periode im Christentum herausbildete. Denn das fruhe Christentum entwarf ein bis zu dieser Zeit unbekanntes Bild vom 'Krieger Christi', von den Krieger-Martyrern, den Krieger-Bekennern, die dem Feuer und Schwert ihrer Gegner mit mannhafter Geduld, Widerstandskraft und Demut, mit dem Wort der Wahrheit und mit Tugend entgegentreten.

Der dritte Abschnitt "Die ethisch-religiose Dominante im kunstlerischen Schaffen" wendet sich der Problematik des Menschen, genauer der Frage nach dem fruhchristlichen Humanismus zu und zeigt, da? das Christentum, das in der Dornenkrone, im Leiden und schmachvollem Tod des Gottessohnes die Rettung der Menschen sah, einen fur die antike Welt vollig neuen Zugang zur Frage nach dem Sein des Menschen entwickelte. Sich an die Ideen der Stoiker und Kyniker anlehnend und entsprechend der neutestamentlichen Forderung auf Nachstenliebe bezeichneten die Kirchenvater der ersten Jahrhunderte Menschlichkeit und Nachstenliebe als die wichtigsten Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens, erhoben also Forderungen, die bis in die heutige Zeit reichen.

Im christlichen Humanismus sieht der Autor eine wesentliche Quelle der fruhchristlichen "Asthetik der Verneinung", deren Wesen in der mehr oder weniger konsequenten "Enthullung" und Verneinung praktisch aller entscheidenden Bestandteile der heidnischen kunsthlerischen Kultur besteht. In drei Kapiteln versucht er deutlich zu machen, wie trotz dieser allgemeinen Grundhaltung die Kirchenvater die einzelnen Kunstgattungen - darstellende Kunst, Rhetorik, Theater - doch unterschiedlich bewerteten. Er gelangt zu dem Schlu?, da? die Asthetik der Verneinung (der fruhen Christen) von keinem globalen Antiasthetizismus zeugt, sondern von einem anderen fur die Antike nicht traditionellen Verstandnis der asthetischen Problematik. Den Christen schien es vor allem notwendig, sich von der antiken Emotionalitat und Affektivitat in der Kunst zu distanzieren, um von neuem, von der Struktur der neuen Asthetik her, zu ihr wieder zuruckzukehren. Am Ende des dritten Abschnittes zeigt er, wie auf Grundlage der negativen Beziehung zur antiken Kunst im fruhen Christentum die Idee von der Notwendigkeit einer neuen, christlichen Kunst heranreifte, entsprechend dem Interesse der neuen Weltanschauung.

Der vierte Abschnitt der Monographie "Die neue asthetische Problematik" zeigt, da? die eigentlichen asthetischen Anschauungen der Patristik in vielerlei Hinsicht im Dienst und in Abhangigkeit von der christlichen Schopfungslehre standen. Das Verstandnis der Welt als Werk eines gottlichen Kunstlers fuhrte dazu: das Schaffen des menschlichen Kunstlers sehr hoch zu bewerten; den Kunstler hoher einzuschatzen als das Werk seiner Hande; die Schonheit und nicht den Nutzen als Grundlage des schopferischen Aktes anzusehen; die Sphare der geistig-moralischen Vervollkommnung des Menschen mit der asthetischen zu verbinden.

Als asthetisches Problem stellten die christlichen Denker die Fragen nach dem Schonen und nach dem Bild. Die Idee der Schopfung der Welt durch Gott aus dem Nichts zwang die fruhen Christen, das Schone in bezug auf die Welt und den Menschen neu zu durchdenken. Da fur die Christen die Welt das Werk eines gottlichen Kunstlers war und der Mensch ihnen als Gipfel der Schopfung erschien, galt ihnen im Gegensatz zu den Platonikern und orientalischen Denkern das naturliche Schone der sichtbaren Welt und vor allem die naturliche Schonheit des Menschen als hochster asthetischer Wert des Seins. Diesen stellten die Apologeten jedem beliebigen "kunstlerischen" Schonen gegenuber, wie es im "heidnischen" Rom kultiviert wurde, so insbesondere der dekorativ-angewandten und der darstellenden Kunst. Hoher als jedes sichtbare schone bewerteten die Kirchenvater das moralisch-geistige Schone. Dieses war ihrer Meinung nach besonders charakteristisch fur Christus und die Martyrer, die ihr Leben fur den christlichen Glauben lie?en. In den Tugenden sahen sie den hochsten Ausdruck menschlicher Schonheit. In diesem Zusammenhang kommt dem Verstandnis des Ha?lichen eine besondere Funktion zu. Im vorliegenden Werk wird gezeigt, da? das Ha?liche auftritt als besondere Kategorie, die dem Schonen nicht entgegengesetzt wurde, aber eine gewichtige Zeichenfunktion besa? und in einer Reihe mit solchen Kategorien wie der des Symbols oder des Zeichens stand.

Weiter wendet sich der Autor dem Problem des Bildes in der fruhchristlichen Asthetik zu. Da die Welt und alle Schopfung der menschlichen Hande von den Kirchenvatern der ersten Jahrhunderte als ein System von Ratseln, Symbolen und Bildern verstanden wurde, die jeweils eine gewisse geistige Realitat ausdrucken, erarbeiteten sie eine interessante Theorie des bildhaft-symbolischen Ausdrucks. In der Eikonologie der Apologeten werden drei Gruppen von Bildern unterschieden: mimetische (nachahmende, gegenstandlich-plastische), symbolisch-allegorische und zeichnenhafte, die sich voneinander unterscheiden durch den Charakter, durch ihre Beziehung zum widergespiegelten Objekt und durch den Grad der Ahnlichkeit. Auch wird darauf aufmerksam gemacht, da? nicht alle Apologeten uberzeugt waren, da? Bilder geistige Inhalte ausdrucken konnen. So haben denn bestimmte Vertreter der fruhen Patristik eine geistige Grundlage fur die bilderfeindlichen Bewegungen im Mittelalter gelegt.

Im 5. Abschnitt "Das Asthetische in der ersten systematischen christlichen Dogmatik" werden hauptsachlich die asthetischen Ansichten von Origenes und Dionysios, eines der Nachfolger des Origenes in der alexandrinischen katechetischen Schule, untersucht. Die Analyse von Texten des Origenes brachte den Verfasser zur Uberzeugung, da? asthetisches Bewu?tsein und asthetische Erfahrung (freilich unreflektiert) eine wesentliche Rolle beim Ausformen der christlichen Erkenntnistheorie und der Lehre vom Sein spielten. Dies gilt besonders dann, wenn sich das diskursive Denken als ungenugend erwies beim Ausdrucken tiefer Seinswahrheiten. So wurde die asthetische Erfahrung zu einer Hilfe fur das formal-logische Denken des ersten christlichen Systematikers und spater vieler anderer Kirchenvater. Im Abschnitt wird die theologisch-asthetische Bedeutung der symbolisch-allegorischen Methode in der Exegese des Origenes und die Bedeutung einiger vom ihm erarbeiteter Symbole fur die mittelalterliche Kultur aufgezeigt (z.B. das Verstandnis von der Arche Noes als einer Bibliothek geistiger und geistlicher Bucher). Dort wird auch das Verstandnis des Origenes von den Grundkonzepten christlicher Kultur wie Weisheit, Bild, Ahnlichkeit usw analysiert.

Der zweite Teil dieses Bandes widmet sich der Asthetik des hl. Augustinus, des gro?ten Representanten lateinischen Patristik, der die Tradition der Apologeten im Westen fortsetzte. (Sein geistiger Weg ging ahnlich dem Weg vieler fruher Apologeten vom Heidentum zum Christentum, und "De Civitate Dei" ist die letzte gro?artige Apologie des Christentums). Beim Studium des uberaus reichen literarischen Erbes dieses Geistesmannes kam der Verfasser zu der Uberzeugung, da? die philosophischen und asthetischen Auffassungen des Aurelius Augustinus in der komplizierten Ubergangsperiode von der Antike zum Mittelalter eine besondere Bedeutung erlangten. In vielerlei Hinsicht stellten sie ein Bilanz der antiken Philosophie und Asthetik und ihrer Entwicklung dar, wiesen jene neuen Wege, auf denen sich dann das philosophisch-asthetische Denken des Mittelalters bewegte.

Die Analyse der asthetischen Auffassungen des Aurelius Augustinus zeigt, da? wir hier einem komplizierten asthetischen System gegenuberstehen. Dieses ist insgesamt einheitlich und in sich auch ausreichend stabil, aber in Einzelheiten enthalt es auch Widerspruche und hat in bestimmten Momenten eine Weiterentwicklung erfahren. Ohne Zweifel ist es innerhalb der antiken und patristischen Asthetik das vollstandigste und am weitesten entwickelte System. Dies ist nicht zufallig! Eine Reihe objektiver und subjektiver Faktoren begunstigten das Entstehen dieses Systems, von denen einige im Folgenden aufgezeigt werden sollen. In der geistigen Kultur der Spatantike zur Zeit des Augustinus uberwogen nichttraditionelle Wege und Formen des Weltverstandnisses. Man suchte die Wahrheit nicht mit Hilfe der Naturwissenschaften und der Philosophie, sondern auf Wegen religioser, mystischer und "ubervernunftiger" Erfahrung. In dieser Atmosphare gewann die emotional-asthetische Einstellung zur Welt besondere Bedeutung. Augustinus war mit einer besonderen asthetischen Aufnahmefahigkeit begabt. Au?erdem kannte er sehr gut, wenn auch nicht immer aus erster Hand, die grundlegenden asthetischen Konzeptionen der Antike des Westens sowie des Ostens. All dieses fuhrte ihn dazu, sich haufig mit asthetischen Problemen zu beschaftigen. Sie sind bei ihm oft ein sehr wichtiger Teil seiner philosophischen Theorie (und zwar genau dort, wo man keine befriedigende Losung mit Hilfe diskursiven Denkens finden konnte), was schlie?lich auch zum Entstehen eines eigenstandigen asthetischen Systems fuhrte, obwohl er selbst naturlich dies nicht eigentlich beabsichtigt hatte.

Das asthetische System des Augustinus ist ein theozentrisches und stellt einen wichtigen Teil seines allgemeinen Weltbildes dar. Im Zentrum seiner Asthetik steht die absolute Schonheit, aber auch als das absolute Gute und die absolute Wahrheit: Gott ist der gro?e Kunstler, der alles nach den Gesetzen der Schonheit geschaffen hat; deshalb tragt in der Welt alles - als materielles und als geistiges - Gottes Spur in sich. In der ontologischen Hierarchie tritt das Schone als eines der Hauptmerkmale des Seins auf. Das Ha?liche zeugt von der Abwesenheit der Schonheit und entsprechend des Seins. Es ist verstandlich, da? die geistige Schonheit in diesem System eine hohe hierarchische Stufe inne hat. Alles Gesagte trifft in gleichem Ma?e auf das Universum, auf die Gesellschaft und auf den einzelnen Menschen zu.

In der real existierenden menschlichen Gesellschaft ortet Augustinus wegen der gegenseitigen Verflechtungen der beiden Reiche (civitas) komplizierte Konflikte. Der Weg uber die Stufe der Schonheit ist seiner Ansicht nach einer der wichtigsten zur geistigen Vollkommenheit, zum ewigen seligen Leben. Der Zustand der Seligkeit erscheint bei Augustinus im Grunde genommen als die hochste Stufe des asthetischen Genusses. Dieser ist ein Zustand unendlichen, unbeschreiblichen Frohlockens und Freude des Geistes; den hochsten emotionalen geistigen Genu? aber sieht er in der absoluten Selbstlosigkeit, die ein Fehlen auch des geringsten Strebens nach utilitaristischem Genu? besteht. Dieser Zustand ist im System des Augustinus das wichtigste und hochste Ziel menschlichen Strebens, der Gegenstand aller seiner Traume. Die Seligkeit ist nach Augustinus nicht nur eine hohe Stufe menschlichen Seins (im zukunftigen Zeitalter), das wunschenswerte Ergebnis seiner Erkenntnistatigkeit; sie ist der Zustand hochsten, selbstlosen und absoluten Wissens um die Wahrheit. Obwohl Augustinus vielleicht in seiner Jugend und wegen der bekannten Mangelhaftigkeit der lateinischen Philosophie seiner Zeit ein konsequenter Anhanger der Ratio war und an deren fast grenzenlose Moglichkeiten auch noch in Ausubung seines Amtes als Bischof unverbruchlich glaubte, verstand er die hohere Stufe des Wissens (die vita beata) als einen uber das Vernunftige hinausgehenden Zustand. Von hier wird auch der Platz der Liebe in seinem System als der wichtigste existenzielle und gnoseologische Faktor verstandlich. Er ging davon aus, da? die Menschen in der Regel das Schone lieben. Wie Augustinus klar sah, ist aber die Welt nicht nur mit schonen und guten Dingen angefullt. Darum kam er zur Erkenntnis von der globalen Regulierbarkeit (hier sieht er das schone Werk Gottes) der positiven und der negativen Erscheinungen in der Welt, und in dieser Hinsicht ist er der erste Denker in der Geschichte der Philosophie, bei dem wir auf ein Nachdenken uber dialektische Wechselbeziehungen zwischen allen naturlichen und sozialen Erscheinungen sto?en. Fur das Verstandnis der Asthetik ist wichtig, da? Augustinus das Gesetz vom Kontrast und von der Gegenuberstellung als Norm erkannt hat, auf deren Grundlage die Harmonie der Welt beruht.

Die grundlegenden strukturellen Gesetzma?igkeiten des Universum lassen sich bei Augustinus fast vollstandig auf eigentlich asthetische Gesetze zuruckfuhren. Es sind dies vor allem Gesamtheit und Einheit, sodann Zahl und Rhythmus, die die Basis einer jeden Form bilden, weiterhin Gleichheit, Abbild, Ubereinstimmung, Angemessenheit, Symmetrie und Harmonie. Alle diese Gesetzma?igkeiten liegen auch den Kunsten zugrunde. Wie Gott die Welt nach den Gesetzen der Schonheit schuf, so bemuht sich auch der menschliche Kunstler, seine Tatigkeit auf derselben Basis zu begrunden. In seinem Verstand, in dem „Kunst" enthalten ist, existiert die Gesamtheit der Gesetze der Schonheit, auf deren Grundlage der Kunstler konkrete Werke schaffen mu?. Der Hauptinhalt der Kunst ist die Schonheit. Den Wert der Kunstwerke bestimmt Augustinus nach dem Ma? ihrer Schonheit, in wieweit durch sie Schonheit ausgedruckt wird. Augustinus verneint nicht die mimetische Funktion der Kunst, bewertet aber die „Nachahmung" (faktisch den Ausdruck) der geistigen Schonheit hoher. Deshalb stehen ihm zufolge die Musik und die Kunst des Wortes auf einer hohren Stufe als die darstellende Kunst oder die Kunst der Buhne. Alle Kunste mussen nach Augustinus zum unmittelbaren Erfassen dieser oder jener Stufe der Schonheit befahigen bzw. zu einem bestimmten geistigen Wert, insbesondere dem philosophisch-religiosen hinfuhren. Dies konnen die Kunste entweder dem Weg der unmittelbaren emotional-asthetischen Einwirkung auf das Wahrnehmungssubjekt (z. B. in Form der Jubilatio in der Musik) oder mit Hilfe ihrer Funktion als Zeichen bzw. Symbol bewirken. Seine Auffassung von diesen Fahigkeiten der Kunste fuhrte Augustinus zu einer detaillerten Ausarbeitung einer Zeichentheorie und zu Forschungen auf dem Gebiet der asthetischen Wahrnehmung, d. h. zur Ausarbeitung der beiden wichtigsten und originellsten Konzeptionen in seiner Asthetik.

So ist Augustinus, ohne es vielleicht selbst gewollt zu haben, der erste in der Geschichte das asthetischen Denkens, bei dem sich ein einheitliches asthetische Inhalt (die Schonheit), das asthetische Subjekt, die Prozesse der asthetisches System einschlie?lich aller grundlegenden Komponenten dieses Systems nachweisen la?t: das asthetische Objekt (Natur und Kunst), der asthetische Inhalt (die Schonheit), das asthetische Subjekt, die Prozesse der asthetischen Wahrnehmung (und des Urteilens) und jene des asthetischen Schaffens. Diese Komponenten sind in seinem System nicht von mechanischer Art (ware es so, wurde im Grunde niemand daruber sprechen); sie stellen reale wechselseitige Zusammenhange und komplizierte Beziehungen dar. Darin besteht die wichtigste historische Bedeutung der Asthetik des Augustinus; sie ist der eingehenden Beachtung wert.

Noch zu Lebzeiten Augustinus fiel Rom, und damit wurde die lange Linie asthetischen Denkens, die zu Augustinus hinfuhrte, im Westen fur lange Zeit unterbrochen. Die Spuren asthetischen Denkens, des antiken und auch des neuen augustinischen, wurden schnell verwischt. Deshalb fand Augustinus keinen direkten Nachfolger, der sein Denken fortgesetzt hatte. Erst als die mittelalterliche Asthetik voll entwickelt war, nahm sie seine Ideen auf und entwickelte viele von ihnen weiter. Doch kennt das Mittelalter keinen Denker, der ein vollstandigeres asthetisches System entwerfen hatte als Augustinus. Die Asthetik des Augustinus blieb Norm und Vorbild, und wir sto?en im kunstlerischen Denken des gesammten Mittelalters auf viele seine Ideen. Uberdies behalten einige seine Ideen (z. B. Aspekte seiner Zeichentheorie, seine Lehre vom Mechanismus der asthetischen Wahrnehmung und des asthetischen Urteilens, seine Uberlegungen zu strukturellen Gesetzma?igkeiten der Schonheit und der Kunst, insbesondere das Gesetz des Kontrastes usw.) ungebrochene Bedeutung bis in unsere Tage.









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